Die falsche Verdächtigung des Beschuldigten / Angeklagten im Rahmen seiner Verteidigung

Mit Urteil vom 10.02.2015 hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) sich mit den Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens beschäftigt (1 StR 488/14). Im Raum stand die Frage, ob ein Beschuldigter oder Angeklagter im Rahmen seiner Verteidigung wider besseren Wissens behaupten darf, dass die Tat ein konkret benannter Dritter begangen hat? Im konkreten Fall hatte ein wegen eines Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz Angeklagter behauptet, der aufgefundene Sprengstoff gehöre nicht ihm, sondern seinem Sohn.

Infolge dieser Behauptung wurde ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen falscher Verdächtigung gemäß § 164 StGB gegen den Vater eingeleitet, welches mit einer gerichtlichen Verurteilung endete. Der BGH hat diese Verurteilung bestätigt und noch einmal die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens im Strafverfahren hervorgehoben. Dabei hat er sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob und wenn ja in welchen Fällen der Tatbestand der falschen Verdächtigung gemäß § 164 StGB Einschränkungen unterliegt, wenn Behauptungen zu würdigen sind, die ein Beschuldigter oder Angeklagter im Rahmen seiner Vereidigung aufstellt, um gegen ihn gerichtete strafrechtliche Vorwürfe abzuwehren.

Als Beschuldigter lügen: Das ist die Rechtslage

Für Beschuldigte und Angeklagte in einem Strafverfahren gilt, dass sie sich nicht selbst belasten müssen. Diese Recht auf Selbstbelastungsfreiheit findet sich in § 136 StPO, welcher dem Beschuldigten oder Angeklagten eine Recht zu Schweigen gewährleistet.

Es ist sowohl in Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob sich aus dem Recht zu Schweigen auch ein uneingeschränktes Recht zur Lüge herleiten lässt. Grundsätzlich ist es so, dass der Beschuldigte bzw. Angeklagte nicht der Verpflichtung unterliegt, im Rahmen seiner eigenen Verteidigung die Wahrheit zu sagen. Bewegen sich unwahre Äußerungen im Rahmen zulässiger Verteidigung dürfen sie auf keinen Fall strafschärfend berücksichtigt werden.

4 Varianten der Belastung Dritter

Kritisch kann es werden, wenn – so wie vorliegend – unwahre Behauptungen die Tatbestandsvoraussetzungen eines Straftatbestandes erfüllen. Bei der Frage, ob Behauptungen im Rahmen der eigenen Verteidigung eine strafbare falsche Verdächtigung darstellen, sind 4 verschiedene Konstellationen denkbar, die unterschiedlich zu bewerten sind.

In der ersten Variante gehen die Ermittlungsbehörden von mindestens 2 Tatverdächtigen aus, klagen jedoch nur einen an. Dieser Angeklagte darf selbstverständlich schweigen, ohne dass dies strafbare Konsequenzen hätte. Dieser Angeklagte darf die Tat auch abstreiten bzw. leugnen, ohne dass dies strafbar wäre. Durch das Abstreiten / Leugnen lenkt er zwar den Verdacht mittelbar auf den weiteren Tatverdächtigen. Allerdings schafft er selbst keine weiteren Tatsachen bzw. Anhaltspunkte, die den anderen zusätzlich verdächtig machen.

In der zweiten Variante, die die erste Variante ergänzt, darf dieser Angeklagte auch Dinge äußern, die sich aus der bereits vorliegenden Sachlage ohnehin schon ergeben oder aufdrängen („ich war es nicht, möglicherweise war es der andere“, „dann hat der Zeuge sich wohl getäuscht oder er sagt die Unwahrheit“). Auch hier ruft er weder einen Tatverdacht hervor, noch lenkt er einen solchen um oder verstärkt ihn durch zusätzliche Behauptungen.

In der dritten Konstellation äußert der Beschuldigte oder Angeklagte wider besseren Wissens weitere tatsächliche Anhaltspunkte, die den bereits bekannten weiteren Tatverdächtigen stärker belasten. In dieser Konstellation besteht ein hohes Risiko strafbaren Verhaltens, hier der Falschaussage. Je stärker bzw. konkreter die Behauptungen sind, um größer ist das Strafbarkeitsrisiko.

Die vierte Variante stellt den Sachverhalt dar, den der BGH zu entscheiden hatte. Der Beschuldigte bzw. Angeklagte lenkt den Tatverdacht durch eine konkrete Behauptung auf eine dritte Person, die bislang nicht verdächtig war. Hier schafft er konkrete Anhaltspunkte, die zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens Veranlassung geben. Die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens sind überschritten, das Verhalten ist strafbar.

Es ist also zusammenfassend festzuhalten, das das Recht, die Aussage zu verweigern auch das Recht umfasst, im Rahmen seiner Verteidigung die Unwahrheit zu sagen. Eine bewusste Lüge, mit der der Verdacht auf eine Dritte Person gelenkt wird, ist in der Regel strafbar. Dies kann im Einzelfall anders zu beurteilen sein, wenn der Dritte ohnehin schon als Tatverdächtiger von den Ermittlungsbehörden eingestuft worden war.

Verteidiger dürfen nicht zur strafbaren Lüge raten

Die dargestellten Aspekte finden auch Anwendung auf die Beratungssituation zwischen Beschuldigtem / Angeklagtem und seinem Verteidiger. Der Verteidiger muss selbstverständlich auch Grenzen der zulässigen Verteidigung in seiner Beratung bzw. Verteidigung vor Gericht berücksichtigen. Strafverteidiger können sich ebenfalls dem Vorwurf der Strafvereitelung und oder falscher Verdächtigung aussetzen, wenn sie die dargelegten Grenzen nicht beachten und ihrem Mandanten zu einem strafbaren Einlassungsverhalten raten.  Zweifel zu streuen ist zulässiges Verteidigungsverhalten und Pflicht eines jeden Strafverteidigers. Dies muss sich jedoch immer im Rahmen der gesetzlichen Grenzen bewegen. Lassen sich Zweifel nur unter Verletzung strafrechtlicher Normen sähen, ist von einem solchen Verteidigungsverhalten zwingend Abstand zu nehmen. Der erfahrene Strafverteidiger wird dann auf die zulässigen Verteidigungsmethoden, die die Strafprozessordnung vorsieht, zugreifen.