Bundesverfassungsgericht: Wohnungsdurchsuchung aufgrund eines substanzlosen anonymen Hinweises ist rechtswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 14.7.2016 (2 BvR 2474/14) die Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung gem. Art 13 I GG gestärkt. Wohnungsdurchsuchungen, die aufgrund einer substanzlosen anonymen Anzeige erfolgen, sind rechtswidrig. Zum Sachverhalt:

Anlässlich eines Wohnungseinbruchs, bei dem Schmuck und Bargeld entwendet worden waren, hatte die zuständige Kriminalinspektion in der Tageszeitung einen Fahndungsaufruf platziert, in dem die Bevölkerung um Mithilfe gebeten wurde.
Wenige Tage später meldete sich ein unbekannter Anrufer. Dieser teilte folgendes mit: „zum Tresor in der D.-Straße können Sie sich folgendes notieren: (-es folgten Namen und Adresse des Betroffenen)„. Unmittelbar danach wurde das Telefonat beendet.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht einen Durchsuchungsbeschluss bei dem Betroffenen. Die Durchsuchung wurde vollzogen.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat dieses Vorgehen für rechtswidrig erachtet und das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung gestärkt. Das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass Angaben anonymer Hinweisgeber nicht generell als Verdachtsfälle zur Aufnahme weiterer Ermittlungen ausgeschlossen sind.
Es betont jedoch, dass bei anonymen Anzeigen die Voraussetzungen des § 102 StPO besonders sorgfältig geprüft werden müssen.
„Als Grundlage für eine stark in Grundrechtspositionen eingreifende Zwangsmaßnahme wie eine Durchsuchung kann eine anonyme Aussage nur genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt worden ist“ (BVerfG, aaO).
Diese Anforderungen sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Die anonyme Anzeige ist inhaltlich ohne Substanz. Weitere Ermittlungserkenntnisse, die die Anzeige stützen, hatte die Polizei nicht ermittelt.
Das Bundesverfassungsgericht stärkt mit dem dargestellten Beschluss auch den sogenannten Richtervorbehalt. Nach § 102 StPO hat der Richter den Anfangsverdacht und die weiteren Voraussetzungen für die beantragte Durchsuchung zu überprüfen.
Der Grundsatz der Aktenwahrheit und der Aktenvollständigkeit verpflichtet die Ermittlungsbehörden in der Ermittlungsakte zu dokumentieren, welche konkreten Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt worden sind und welchen Erfolg sie gehabt haben.
Es steht dabei nicht im Belieben der Ermittlungsbehörden, ob sie strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen in Akten vermerken und zu welchem Zeitpunkt sie dies tun. Der Haftrichter muss den Gang des Verfahrens ohne Abstriche nachvollziehen können.

Im vorliegenden Fall hätte dies zur Folge haben müssen, dass die Kriminalpolizei und/oder die Staatsanwaltschaft in die Ermittlungsakte aufnehmen, dass ein Fahndungsaufruf in der lokalen Presse erfolgt war.
Denn über diesen Aufruf konnte jeder Bürger Information erhalten, die für die Begründung eines Anfangsverdachtes erforderlich waren. Das Bundesverfassungsgericht dazu konkret:
„Unter Berücksichtigung des Umstandes, das alle vom anonymen Anrufer mitgeteilten Informationen bereits über die Zeitung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht waren, verliert die anonyme Anzeige -jedenfalls ohne Hinzutreten besonderer weiterer verdachtsbegründende Umstände -ihr gesamtes Gewicht.
Denn bei dieser Sachlage ist es nicht ausgeschlossen, dass ein unbekannter den Betroffenen zu Unrecht denunzieren wollte. Der Anrufer konnte durch den Fahndungsaufruf auch gerade erst zu einer Falschbezichtigung herausgefordert worden sein“ (BVerfG aaO).

Für die Praxis bedeutet diese Entscheidung, dass Betroffene einer Durchsuchung bzw. die Strafverteidiger den Anfangsverdacht unter Bezugnahme auf die konkreten in der Ermittlungsakte erhaltenen Informationen überprüfen müssen. Strafverteidiger müssen mit ihren Mandanten Alternativhypothesen anstellen,
woher der anonyme Anzeigeerstatter die angegebenen Informationen sonst noch haben könnte. Der Strafverteidiger überprüft weiterhin, ob sämtliche Ermittlungsmaßnahmen in der Ermittlungsakte dokumentiert sind. Eine rechtswidrige Durchsuchung hat nicht selten ein Verwertungsverbot zur Folge. D. h. selbst in den Fällen, in denen anlässlich einer Durchsuchung
Hinweise auf die wahre Täterschaft gefunden werden, kann ein Verwertungswiderspruch eine Verurteilung verhindern.