Medizinrecht: Der Arzt haftet für unterbliebene Anordnung einer Krebsvorsorgemaßnahme

Das Oberlandesgericht Hamm hat einen Arzt zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 20.000,00 Euro verurteilt, der nicht rechtzeitig zu einer medizinischen Untersuchung (hier Mammografie) geraten hatte. Die Patientin war (…)

zwischenzeitlich an Krebs erkrankt und hatte behauptet, der Tumor hätte rechtzeitig erkannt werden können, wenn der behandelnde Arzt die Mammografie bereits 2 Jahre zuvor im Rahmen eine Vorsorgeuntersuchung angeordnet hätte. Das Gericht ging nach sachverständiger Beratung davon aus, dass die Behandlung der Erkrankung deutlich weniger belastend, der Operationsumfang erheblich geringer und der Heilungsverlauf günstiger gewesen wäre, wenn die Krebsdiagnose früher gestellt worden wäre. Den groben Behandlungsfehler sieht das Gericht jedoch nicht in der unterlassenen Anordnung an sich, sondern stellt besonders auf die Person der Patientin ab. Im Urteil heißt es dazu wörtlich:

„Darüber, ob schon im Allgemeinen der unterbliebene Rat zu einer Vorsorgeuntersuchung in Form eines Mammographiescreenings einen groben Behandlungsfehler darstellt, musste der Senat nicht entscheiden. Für den konkreten Fall ergibt sich die Grobheit des Fehlers aber jedenfalls daraus, dass es sich bei der Klägerin ersichtlich um eine Patientin handelte, die in jeder Hinsicht vorbildlich und regelmäßig Vorsorgetermine wahrnahm und der es deshalb – auch für den Beklagten ersichtlich – auf die Minimierung jedweden Brustkrebsrisikos ankam. Zudem, und dies hat der Sachverständige nochmals im Senatstermin bestätigt, war das vom Beklagten seit dem Jahr 2000 verordnete Hormonersatzmedikament Liviella jedenfalls dazu geeignet, das Risiko von Brustkrebs zu erhöhen. Wenn der Beklagte in dieser Situation einer Patientin, die in jeder Hinsicht Compliance zeigt, der er es ersichtlich auf eine höchstmögliche Reduzierung des Brustkrebsrisikos ankommt und der ein Medikament verordnet wird, das jedenfalls mit der Erhöhung des Brustkrebsrisikos in Zusammenhang gebracht wird, nicht dazu rät, sich einer einfachen, relativ risikolosen und von der Fachgesellschaft eindeutig empfohlenen Vorsorgeuntersuchung zu unterziehen, stellt dies einen groben Behandlungsfehler dar.
Dieser Fehler war nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen auch geeignet, eine Tumorerkennung bereits im Jahr 2008 mit erheblich geringerer Ausbreitung zu verhindern. Den Beweis dafür, dass der Tumor mit identischer Größe und Ausbreitung bereits im Jahr 2008 vorhanden gewesen und deshalb die gleichen Beeinträchtigungen bestanden und die gleichen Behandlungen erforderlich gewesen wären, hat der Beklagte nicht erbringen können.

Im Rahmen dieser Beweislastumkehr ist zu Gunsten der Klägerin demnach davon auszugehen, dass bei einem entsprechenden Rat des Beklagten zur Mammographie dieser anlässlich dieser Untersuchung im Jahr 2008 entdeckt worden wäre – der Sachverständige hat dies ausdrücklich als nicht unwahrscheinlich bezeichnet – und zwar dergestalt, dass sich noch keine Metastasen gebildet hätten. Insoweit ist mangels Beweises des Gegenteils davon auszugehen, dass der Umfang einer – allerdings ohnehin notwendigen – Operation deshalb etwas geringer ausgefallen wäre, weil man vorsorglich lediglich einen sogenannten Wächterlymphknoten hätte entfernen müssen und eine weitere Entfernung von Lymphknoten nicht erforderlich gewesen wäre. Eine Strahlentherapie wäre allerdings auch bei einer Entdeckung bereits im Jahr 2008 notwendig geworden. Insbesondere wäre der Klägerin bei einer Entdeckung im Jahr 2008 allerdings die mit den erheblichsten Belastungen verbundene Chemotherapie erspart geblieben. „

(zit. aus OLG Hamm, Urteil vom 12.08.2013, 3 U 57/13)

Die Besonderheit des Falles liegt also einerseits in der Person der Patientin, die besonders gewissenhaft und verantwortungsvoll den Vorsorgemaßnahmen nachgekommen war, was – so ist das OLG wohl zu verstehen – auch die Sorgfaltspflichten des behandelnden Arztes erhöht und andererseits in der speziellen Untersuchungsform der Mammografie, denn seit dem Jahr 2008 bestand die Forderung der Fachgesellschaft, dass die niedergelassenen Gynäkologen diese Vorsorgeuntersuchung aktiv vermitteln sollten.
Neben dem reinen Schmerzensgeldbetrag wurde der Arzt zudem verurteilt, den Haushaltsführungsschaden in Höhe von ca. 3.300,00 Euro, anteilige vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sowie noch nicht bezifferbare Zukunftsschäden zu übernehmen.

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