Ermittlungsverfahren aufgrund gehackter Kryptohandys teilweise rechtsstaatswidrig

Polizeiliche Auswertungen sog. „Kryptohandys“ (EncroChat, Sky ECC, Anom usw.), die lange Zeit als abhörsicher galten, nehmen zu. Wir verteidigen alle Beschuldigte in Ermittlungsverfahren aufgrund gehackter Kryptohandys und widersprechen den Verwertungen. Lesen Sie hier, was Sie im Zusammenhang mit der Verteidigung in EncroChat-Verfahren wissen müssen.

EncroChat, Sky ECC oder ganz aktuell auch Anom – die Liste der Ende-zu-Ende verschlüsselten Kommunikationsnetzwerke, auch „Kryptohandys“ genannt, die lange Zeit als abhörsicher galten, nunmehr aber von den Ermittlungsbehörden zunehmend gehackt und ausgewertet werden, wächst.

Komplex SKY ECC und Anom

Hinsichtlich der Situation rund um SKY ECC und Anom ist zwar noch wenig bekannt – klar ist aber, dass belgische Ermittlungsbehörden und Europol im Zuge der „Operation Sky“ zahlreiche Durchsuchungen und Festnahmen in Belgien und Holland durchführten und im Vorfeld wohl Millionen verschlüsselter Nachrichten im Zusammenhang mit SKY ECC abfingen und teilweise auswerteten. Anom nimmt eine Sonderstellung ein, weil es sich bei diesem Anbieter um ein vom FBI entworfenes und kontrolliertes Verschlüsselungsnetzwerk handelte, das über verdeckte Ermittler in die Kreise und auf die Handys der organisierten Kriminalität eingeschleust wurde.

Wir halten die Verwertung der Erkenntnisse rund um SKY ECC und Anom für rechtsstaatswidrig, da es sich um staatliche Provokationen / Anstiftungen von Straftaten handelt (ähnlich dem sog. agent provocateur). Unserer Ansicht nach begründet die Vorgehensweise der Strafverfolgungsbehörden daher umfassende Verwertungsverbote, mit der Folge, dass Ermittlungsverfahren aufgrund gehackter Kryptohandys gegen deutsche Staatsbürger nicht rechtmäßig sind.

Komplex EncroChat  

EncroChat war ein in Europa ansässiges Kommunikationsnetzwerk und ein Dienstanbieter, der die Ende-zu-Ende verschlüsselte Kommunikation seiner Nutzer anbot. Dabei wurden präparierte Android-Handys verwendet, die mittels einer eigenen Software verschlüsselte Nachrichten an die Server in Frankreich und von dort zurück an das Empfängerhandy sendeten. Die Kommunikation wurde von dem Unternehmen als abhörsicher beworben. Französischen Ermittlungsbehörden gelang es allerdings Ende Dezember 2018 Kopien der Server in Frankreich zu beschlagnahmen und den Zugang zu „knacken“. Durch die so gewonnenen Erkenntnisse konnten die Ermittler sogenannte Trojaner auf die Handys der Nutzer aufspielen. Im Folgenden wurden zwischen April bis Juli 2020 viele Millionen verschlüsselter Daten (Chats, Notizen, Bilder, Standorte) abgefangen und teilweise ausgewertet. Dies betraf auch Handys, die in Deutschland genutzt und von französischen Behörden quasi „live ausspioniert“ wurden.

Die Daten, die aus den in Deutschland genutzten Handys stammten, wurden dem BKA von den französischen Behörden mittels EUROPOL überlassen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist davon auszugehen, dass das BKA diese Daten auswertet und je nach geografischem Bezug an die zuständigen Staatsanwaltschaften weiterleitet, die die Ermittlungen übernehmen. Wir verteidigen Beschuldigte aus diversen EncroChat-Verfahren

Es gibt vielversprechende Ansätze für die Strafverteidigung

Wichtig für betroffene Nutzer von EncroChat ist zunächst die Erkenntnis, dass allein die Nutzung von verschlüsselten Kommunikationsnetzwerken – wie etwa bei EncroChat – noch keine Straftat ist. Entscheidend ist vielmehr, ob die Ermittlungsbehörden über den ausgewerteten Inhalt der Kommunikation dem betroffenen Nutzer eine Straftat nachweisen können oder nicht. Gerade diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten.  Obwohl von den Ermittlungsbehörden medial als ein „großer Schlag gegen die organisierte Kriminalität“ verkündet, entpuppt sich bislang vieles als heiße Luft.

Denn den Ermittlern fällt es schwer, die Nutzer der ausspionierten Handys zu identifzieren. Die Identifikation durch die Behörden erfolgt durch die Auswertung von geteilten Adressen, Standorten oder Fotos. Dies bedarf letztlich einer richtigen Interpretation und Zuordnung von Indizien, sodass die Ermittlungsarbeit an dieser Stelle fehleranfällig ist und Handlungsspielraum für die Verteidigung eröffnet. Zudem ist gerichtlich bislang nicht eindeutig geklärt, ob die EncroChats als Beweismittel überhaupt verwertet werden dürfen. Die Verteidigung muss daher Verwertungswidersprüche erheben.

Es gibt diverse Ansätze für Verwertungsverbote

Viele gute Gründe sprechen gegen die Verwertbarkeit: Es darf bereits in Zweifel gezogen werden, ob französische Ermittlungsbehörden mittels geheimdienstlicher Abhörmaßnahmen Nutzer auf deutschem Boden „live“ ausspionieren durften, ohne deutsche Ermittlungsbehörden von Anfang an einzubeziehen. Außerdem stellt sich die Frage, ob die Maßnahmen nach französischem Recht rechtmäßig waren und ordnungsgemäß angeordnet wurden. Zudem ist der deutschen Strafprozessordnung eine anlasslose, massenhafte Datenspeicherung von Telekommunikationsinhalten – wie hier geschehen – fremd.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass deutsche Ermittlungsbehörden mit dieser Erkenntnis die französischen Ermittlungsbehörden haben walten lassen, um anschließend an die Daten über EUROPOL heranzukommen. Dies stellt eine unzulässige Umgehung von Grundrechten deutscher Nutzer dar.

Zwar haben die norddeutschen Oberlandesgerichte in Beschlussform bislang die Verwertbarkeit bejaht. Es handelt sich aber nur um vorläufige Entscheidungen und eine höchstrichterliche Klärung durch den Bundesgerichtshof und durch das Bundesverfassungsgericht steht noch aus. Die norddeutschen OLGs haben sich erkennbar an das gewollte Ergebnis der Verwertbarkeit „geklammert“, ohne den Grundrechten der Betroffenen ausreichend Rechnung zu tragen. Nicht anders lässt es sich erklären, wenn das OLG Hamburg ausführt: „Hiervon unabhängig würden die Voraussetzungen für ein Verwertungsverbot auch dann nicht vorliegen, wenn das Vorgehen der französischen Behörden teilweise als nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatswidrig begriffen werden würde.“ Auch das Kammergericht Berlin hat eine Entscheidung des Landgerichts Berlin korrigiert und hält die Erkenntnisse für verwertbar (2 Ws 79/21, 2 Ws 93/21). Ob das Bundesverfassungsgericht diese Rechtsauffassung teilt, muss bezweifelt werden.

Wenn Sie Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren aufgrund gehackter  Kryptohandys oder anderer trojanerähnlicher Maßnahmen sind, können Sie sich jederzeit an uns wenden. Sie profitieren von unserer Erfahrung aus ähnlichen Verfahren. Verlassen Sie sich auf unseren engagierten Einsatz für Ihren Vorteil. Wir beantragen zunächst umfassende Akteneinsicht. Anschließend zeigen wir Ihnen die Optionen auf, mit denen das Verfahren zu einem günstigen Ende gebracht werden kann.

Bis dahin gilt für Sie: Machen Sie von Ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch!